zuhanden der zweiten Mitgliederversammlung vom 25. Februar 2011

Stand unser erstes Windbläss-Jahr vor allem im Zeichen des Aufbruches, der vielen Ideen und des „Geburts-Enthusiasmus’“ unseres jungen Blässes, so war unser vergangenes zweites Vereinsjahr zwar immer noch von viel Schwung und Idealismus geprägt, aber ebenso von der Erkenntnis, dass die erfolgreiche Aufzucht des Hundes auch viel „Knochenarbeit“ beinhaltet, die mit dem kreativ-künstlerisch-gestalterischen Aspekt unseres Vereins wenig tun hat - aber dennoch unabdingbar dazu gehört.
Dazu zählt das aufwendige Kapitel der Finanzierung unserer Veranstaltungen. Alle Aspekte, von der Erstellung der Gesuchsunterlagen über die Auswahl potentieller Geldgeber, bis hin zur eigentlichen Eingabe des Gesuches (zuweilen verbunden mit persönlichem Vorsprechen und Präsentieren unserer Projekte) sind mit erheblichem administrativen und zeitlichen Aufwand verbunden, der nur geleistet werden kann, wenn er auf diverse Schultern unseres Vorstandes verteilt werden kann. Auch die Anpassung unserer Mitglieder- und Interessenten-Datei, die Rechnungsführung, die Bereitstellung von Infrastruktur, Logistik (Fahrservice), Sitzungsprotokollverfassung, die Website-Betreuung und –Weiterentwicklung, die Medienarbeit, die Beantwortung von Fachfragen zum Hausorgelbau, die kontinuierliche Erhebung von Daten (Standortänderungen, Änderung der Besitzverhältnisse, Wertschatzungen, Identifikationen, Expertisen, Restaurationen, etc.) rund um die Toggenburger- und andere Hausorgeln - und vermutlich noch vieles mehr - , bilden einen wichtigen Teil der Windbläss-Aufgaben, die naturgemäss ein wenig im Schatten der Planung und Durchführung unserer öffentlichen Veranstaltungen stehen.
Gedankt wird normalerweise am Schluss eines Berichtes – ich mache es trotzdem schon an dieser Stelle und zwar geht mein Dank speziell an die Vorstandskolleginnen und –kollegen, die mit ihrer Zuverlässigkeit und Präsenz zum Funktionieren des „Windbläss-Betriebes“ beigetragen haben.

Doch nun der Reihe nach: Abschluss des ersten und zugleich Beginn des zweiten Vereinsjahres bildete die Orgelstobete vom 26. Februar in unserem „Heimlokal“ auf dem Nesslauer Bühl. Unser Hausensemble, mittlerweile unter dem Namen „Windiger Bläss“ musizierend, bildete die klingende Grundlage für die Darbietungen einer Volkstanzgruppe aus dem oberen Toggenburg unter der Leitung von Anni Forrer. Strukturiert wurde das Programm mit der Lesung von drei Bräker-Texten, rezitiert in unnachahmlich authentischer Art und Weise von Walter Meyer vom Wattwiler Schmidberg. Die obligaten „100-Sekunden-Orgelwissen“ steuerte Wolfgang Sieber bei, indem er diesmal ausnahmsweise sogar 111 Sekunden in 222 Worte fasste, welche die Orgel in ihrem Ursprung als weltliches, sprich Tanz-Instrument umschrieben und so den historischen Bezug zur Stobete herstellten. Allerdings vermochte sich eine Stobete-Stimmung im herkömmlichen Sinn nicht durchzusetzen, da das traditionelle Stobete-Volk unserer Veranstaltung offenbar misstraute oder dem gleichzeitig stattfindenden grossen Empfang des Namensvetters eines berühmten Toggenburger Instrumentenmachers namens Ammann die Aufwartung zu machen vorzog (wobei sich an diesem Beispiel deutlich zeigt, wie der Begriff Berühmtheit auch eine Frage der Perspektive ist). Auch das fehlende journalistische Interesse für diesen Anlass schien ebenfalls auf diese Terminkollision rückführbar zu sein. Nichts desto trotz: Diejenigen, die dabei waren (die Stobe war voll) haben’s genossen, auch wenn das Tanzbein nicht exzessiv geschwungen wurde!

Windbläss bläst zum Windbläss – mit dieser Aufforderung wurde im Sommer zur Erwanderung des Ursprungs unserer Namensgebung geladen. Allerdings war dann das Wetter am betreffenden 15. August so feucht, dass auf die Schlechtwettervariante ausgewichen werden musste, zwar immer noch in relativer Nähe zur Alp Windbläss, aber in der wetterresistenten Gemütlichkeit des Speer-Saals in der Nesslauer Laad, eines der wenigen noch original erhaltenen Wirtshaussäle im Toggenburg. Hier liess Windbläss kulturelle Welten aufeinander prallen: Die gesellschaftskritischen, die Marschmusik musikalisch witzig verurteilenden, „Märsche um den Sieg zu verfehlen“ von Mauricio Kagel (Kanti-Big-Band Wattwil, Ltg. Martin Winiger) wurden mit der heilen Welt des einheimischen Männerchorschaffens konfrontiert. Die Beiträge des Laader Männerchors unter der Leitung von Peter Scherrer illustrierten in gepflegten Tönen und blumig-patriotischen Worten die intakte Welt um den Blässchopf und die Alp Windbläss. Literarische Bereicherung bot Schriftsteller Peter Weber, indem er in einer Art „Homage an Windbläss“ über Winde, Wanderungen und Hunde fabulierte, nicht ohne Anspielungen auf ihm bekannte (und offensichtlich geschätzte) Windbläss-Mitglieder. Auch dieses Mal fehlten die 100-Sekunden-Orgelwissen nicht, und zwar gleich in doppelter Ausführung: Jost Kirchgraber erörterte die Gründe, weshalb die Orgel um 1524 aus den Kirchen verschwinden musste und Markus Meier zeichnete die Wege des Windes nach, sei es in den Baumwipfeln am Windbläss oder in der kanalisierten Enge des Instrumentes. In Ermangelung einer Hausorgel im Speersaal wurde der Windbläss-Schottisch für einmal in fragmentarischer Reduktion auf vier einzelnen Orgelpfeifen geblasen, interpretiert von Heidi Bollhalder und Darina Baumann! Der Nachmittag endete mit der feierlichen Entrollung der Windblässfahne unter den Klängen des Windbläss-Schottisch in einer erstmalig aufgeführten Version für Big-Band.

Windbläss boxt den RäppdäBläss – der 5. November war leider nicht der Abend der vor lauter Andrang berstenden Bühler Orgelstube, obwohl sich erstens der Anlass als Highlight entpuppte und zweitens selbst anfängliche Skeptiker und eingefleischte Traditionalisten im Nachhinein lobende Worte fanden und ihr Kommen keinesfalls bereuten! Aber eben: was der Bauer nicht kennt (zu kennen glaubt), frisst er nicht, und so geschah es, dass uns ein grosser Teil des bewährten und liebgewonnen Stammpublikums die kalte Schulter zeigte und so auch die Chance verpasste, sich ein neues – oder überhaupt ein Bild eines heutigen musikalischen Trends zu machen. Selbstverständlich waren auch keine tiefgesetzten Hosen, Dächlikappen und vor der Orgelstube reihenweise parkierte Rollbretter auszumachen – aber, ich wiederhole mich, bei denjenigen, die anwesend waren, kannte die Begeisterung für das Gebotene keine Grenzen. In einem gewissen Sinn bergen solche spartenübergreifende Experimente auch ein veranstalterisches Risiko, da offensichtlich die Gefahr besteht, weder die Klientel der einen noch der andern musikalischen Kultur mobilisieren zu können, so dass man als Veranstalter sozusagen zwischen Stühle und Bänke fällt. Schade eigentlich, könnten doch gerade solche Angebote wesentlich zur generationen- und stilübergreifenden Verständigung beitragen! Windbläss möchte auch künftig „Spagate“ in diese Richtung wagen! Was Wolfgang Sieber – seines Zeichens nicht unbekannt u.a. für regelmässige unbekümmerte musikalische Grenzüberschreitungen – mit seinen beiden Luzerner Jungs, Rapper Feliciano und Beatboxer Janosch, bot, ist schwierig in Worte zu fassen, darf aber als durchaus lyrisches, differenziertes Gemix aus Wort, Gesang, Rhythmus, Lichteffekten und – Hausorgelklang bezeichnet werden. Reto Stähelis 100-Sekunden-Orgelwissen widmete sich der Geschichte des Musikhörens und den Analogien zur Orgel. Dass sich inmitten dieses Programms die Aufführung des Windbläss-Schottischs (in traditioneller Art und Weise) eher etwas fremdartig präsentierte, verlieh dem Abend eine zusätzliche skurrile Note, betont aber einen wichtigen Aspekt des Blässes: er soll durchaus provokativ, bissig, anregend sein – nur nicht hinterrücks, dies unterscheidet ihn von den realen Blässen.

Soweit der künstlerische Rückblick auf ein sehr erfreuliches zweites Windblässjahr – dem Jahr der Bestätigung sozusagen. Einige Flausen konnten dem jugendlichen, übermütigen Blässlein mittlerweile ausgetrieben werden. So bietet unsere schön gestaltete, sich in ständiger Weiterentwicklung befindende Website www.windblaess.org eine Fülle von Informationen und soll sukzessive auch zu einem Online-Archiv mit Daten zu Toggenburger Hausorgeln (Instrumente, Standorte, Besitzverhältnisse, Handänderungen, Dispositionen, Angaben zur Bemalung, etc.) ausgebaut werden – eine Art elektronische Weiterführung des bewährten Wachter-Verzeichnisses. Weiter sind auf dieser Plattform – neben anderen – auch die Texte der 100-Sekunden-Orgelwissen zu finden, Links zu Partner-Organisationen und vieles mehr. Die administrativen Abläufe haben sich im letzten Jahr zusehends stabilisiert und automatisiert, so dass wir mittlerweile von einem zufriedenen und genügend betreuten Mitgliederstamm ausgehen dürfen.
Den eingangs erwähnten Dank an meine Vorstandskolleginnen und –kollegen möchte ich nun ergänzen mit dem Dank an unsere Mitglieder und unser Publikum, die mit ihrem Interesse die Arbeit von Windbläss entscheidend motivieren und uns zu neuen – und so hoffen wir – originellen Taten anspornen! Ein grosser Dank geht an die Organisationen, die uns im letzten Jahr ideell, vor allem aber auch finanziell unterstützt haben. Es sind dies die Gemeinde Nesslau, die Kulturförderung des Kantons St. Gallen, die Stiftung Sparkasse Küsnacht in Liquidation, die Billwiller-Stiftung – und nicht zu vergessen unsere Veranstaltungsbesucherinnen und –besucher, die mit einer durchschnittlichen Kollekte pro Anlass von ca. CHF 800.- ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten. Nicht unerheblich fürs finanzielle Überleben ist auch die Tatsache, dass sämtliche Leistungen der Windbläss-Vorstandsmitglieder – seien es künstlerische aber auch organisatorisch-administrative – nicht honoriert werden. Ich freue mich auf das dritte Vereinsjahr und hoffe, dass der Bläss weiterhin frisch durchs Toggenburg – und sogar zum Tal hinaus – bellt!

Winterthur, 24. Februar 2011 / Markus Meier, Präsident Windbläss