66" Orgelwissen: Sexta – Sesquialtera

Ein organologisch komplexer Sachverhalt droht sich hinter diesen Termini zu verstecken, liegen doch assoziative Abwege, wie Verflixtera oder unterschwellig angedeutete Geschlechtlichkeit und schamhaft angedeutete Erotik sündhaft duftend in der Luft. Farbigkeit und Emotionalität werden mit besagter Begrifflichkeit in verschlüsselter Geheimniskrämerei an rätselnde Spieltischbetrachter impliziert; Sesquialtera – ein Wort mit sieben Siegeln, ein Ansporn für klangliche und andere Fantasien. Denn, und so viel sei vorweg genommen: Die Herkunft der Bezeichnung Sesquialtera für ein zweifaches Orgelregister, bestehend, und auf den Grundton bezogen, aus einer Quinten- und einer Terzenreihe, ist von der Musikwissenschaft bis heute nicht schlüssig geklärt, was den Weg für spekulative Deutungen umso mehr freilegt und legitimiert.

Schon die Tatsache, dass sich das Register der grundtönigen Bodenständigkeit entzieht und sich der Färbung und Aufhellung des Orgelklanges verpflichtet (vergleichbar mit farbigen Kirchenfenstern, die sich in ihrer Exklusivität von der banalen Funktion, beispielsweise von Bankreihen, abheben), macht es zu einem Registrier-Mysterium höherer Ordnung, einer Diva sozusagen, die auf die dienende Grundlage von Fundamentstimmen angewiesen ist, sich auf diese bezieht und – als pikantes Detail – die ohne diese jeglicher Existenzberechtigung beraubt wird. Eine Königin ohne Untergebene macht schliesslich keinen Sinn!

Und was hat es nun mit dem impliziten Sex oder der Sexta auf sich, der eigentlichen Geschlechtlichkeit dieses verflixteraten Registers?

Diese muss zwischen den beiden Pfeifenreihen, sinnbildlich für das männliche und weibliche, aber auch für spannungsgeladene Dualität, gesucht werden. Die Quint- und die Terzpfeife eines Tones, oder unmissverständlicher: einer Taste, rahmen nämlich das Intervall der Sexte. Die Erklärung scheint auf der Hand zu liegen: der Sex, oh pardon, die Sexte zwischen zwei abgestimmten Pfeifen führt zu neuem Leben bzw. neuem Klang! Eine wundervoll erotische Deutungsmöglichkeit der Sex-quialtera (auch diese Schreibweise ist überliefert).

Die Bedeutung der Sexte als musikalisches Intervall stützt diese These durchaus, wird sie doch als Parallelogramm im Aussenstimmensatz geführt, als Falso bordone bezeichnet. Johann Gottfried Walther, Bach-Zeitgenosse und anerkannter Theoretiker, bezog das Wort falso auf das Fehlen des eingentliche(n) Ende(s) der Harmonie und des Accords (das heisst auf ein Fehlen des Grundtons). Heute gehen wir davon aus, dass in der Musik des 18. Jahrhunderts durch Falso-bordone-Sätze sinnentsprechend auch Falschheit und Sündhaftigkeit symbolisiert wurde.

Ob sündhaftig, anrüchig oder gar versext: die Toggenburger (Haus-)Orgelbauer haben die Sexquialtera nie gebaut – ob aus Gründen hinterwäldlerischer oder pietistischer Verklemmtheit, oder schlicht aus orgelbautechnischem Unvermögen, sei für den Moment getrost dahin gestellt!

24.2.2016 / Markus Meier